Sucht und AbhängigkeitSymptomatik und Suchterkrankungen |
"Was den Umfang der Problematik angeht, so nennt die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahr folgende Zahlen: 80.000 bis 100.000 Abhängige von illegalen Drogen, 500.000 - 800.000 Medikamentenabhängige, ca. 2 Millionen Alkoholabhängige; mit diesen Kranken sind ca. 3 Millionen Kinder familiär verbunden." (RUDOLF, 1996, S. 163)
Der gesellschaftliche Aspekt bei der Sucht ist offensichtlicher als bei den meisten anderen psychischen Störungen. Einerseits existiert die soziale Not der Erkrankten und die ihrer Angehörigen, vor allem ihrer Kinder, die stark belastet sind und häufig selber auch süchtig werden. Was sich bezüglich der Sucht in der Gesellschaft abspielt, liefert zweifellos auch Auskunft über den Zustand der Gesellschaft. Grob geschätzt 5% der Bevölkerung (Kinder ausgenommen) suchen Hilfe in der Ersatzwelt des Rausches, da sie ihr Leben so wie es ist, nicht aushalten können.
Das zum Download angebotene Übungsmodul dient dazu, Suchtverhalten mit Hilfe eines logisch in Einzelschritten aufgebauten Lernprogrammes abzubauen und besser damit umzugehen. Die ersten drei Schritte beschreiben die allgemeinen Inhalte des Lernprogrammes und sind Voraussetzung für Schritt 4, wo speziell das Thema "Sucht" bearbeitet wird.
Die Kriterien für das Abhängigkeitssymptom, lassen den Prozeß der Suchtentwicklung erkennen. Sie lassen sich sowohl auf mittelgebundene Süchte wie Alkohol-, Drogen, oder Medikamentensucht beziehen, aber auch auf die nichtmittelgebundenen Süchte übertragen.
Ein Kennzeichen ist der starke Wunsch, etwas einzunehmen (bzw. zu konsumieren). Charakteristisch für Abhängigkeit und Sucht ist dabei, daß die Kontrolle über den Konsum verloren wird. Süchtige entwickeln Toleranz gegen die Substanz (z.B. ein Alkoholiker muß immer mehr Alkohol trinken, um die Wirkung des Rausches zu erzielen) und es treten Entzugssymptome auf, wenn die Substanz nicht verfügbar ist. Dies alles führt zu einer Einengung des Verhaltens (Sucht bestimmt den Tagesablauf). Typischerweise wird weiter konsumiert, obwohl die Schädigung offensichtlich ist.
Ein Ausdruck des depressiven Grundkonflikts kann auch die Entwicklung von Sucht und Abhängigkeit sein. Der Weg zu Abhängigkeit und Sucht erfolgt meist schleichend und über lange Zeit hinweg und wird oft von außen nicht bemerkt. Der Süchtige verleugnet sie auch meist vor sich selber.
Das süchtige Verhalten ist ein Bewältigungsversuch des Konflikts (und nicht wie bei depressiver Symptomatik, der Zusammenbruch der Abwehrstruktur). Es ist ein Bemühen um Selbststabilisierung und kann in verschiedenen Lebensabschnitten und unter den verschiedensten Belastungssituationen auftreten.
Alle Suchthandlung dienen demselben Zweck: Sie dienen dazu, unangenehme Gefühle in angenehme zu verwandeln, wie z.B. aus einem Gefühl der Leere, ein Gefühl der Fülle und Freude, aus Angst Zufriedenheit, aus körperlichem oder seelischem Schmerz ein Gefühl der Zufriedenheit und aus Selbstzweifeln und Kränkung ein Hochgefühl bis hin zu einem Rausch von Größe und Allmacht werden zu lassen.
Anstelle der Realität entsteht die Phantasiewelt des Rausches.
"Der Rauschzustand selbst ist eine massive Regression in allen psychischen Bereichen. Bereits vor der Einnahme des Rauschmittels ist ein regressiver Zustand eingetreten, in welchem das Ich die Belastungen, Konflikte und Enttäuschungen des Alltagslebens nicht mehr aushält und nach sofortiger Entlastung und Beruhigung verlangt" (Rudolf, 1996, S. 160).
Die Toleranz gegen Frustrationen ist soweit gesenkt, dass die andrängenden negativen Gefühle nicht mehr ertragen und bewältigt werden können und Erleichterung in der Realität des Rausches gesucht wird.
Ursachen für das Suchtverhalten kann man in der Kindheit finden. In der Phase, in der das Kind beginnt, seine Umwelt als von sich getrennt zu erleben und seine Bezugsperson nicht mehr nur in einer medialen Form (d.h. z.B. mit einem Gefühl von Wärme) sieht, sondern beginnt, die von sich getrennte Person zu entdecken und in der Interaktion mit dieser Person sein Selbst entwickeln kann. Das Selbst ist hier noch in einer sehr unsicheren Phase. Denkbar ist, dass das Kind in dieser Phase verlassen oder wiederholt enttäuscht wird. Es bräuchte in dieser Situation eine Sicherheit und Zuneigung spendende Person. Das Suchtmittel kann solch eine Funktion annehmen.
"Der Trinker in Hans Falladas gleichnamigen Roman - W. Tress hat darauf aufmerksam gemacht - berichtet, wie der Alkohol warm und lebendig in seinen Mund fließt, in Wellen durch ihn hindurchgeht, alle Sorgen und Kümmernisse fortschwemmt, Helle und Leichtigkeit hinterlässt, ihn auf dem Strom des Vergessens dahintreiben lässt, während er eine heruntergekommene Mittrinkerin, die ihm den Alkohol in den Mund gießt, als bittersüße Geliebte erlebt. Es ist, als ob er in den Armen der Muttergeliebten, das Gesicht an der Brust, von ihr gesäugt und gesättigt, in zeitlosem Wohlbefinden versänke. Dieser Zustand der Befriedigung und Geborgenheit kontrastiert mit seinem nüchternen Selbsterleben, indem er seine Schwäche, seine Abhängigkeit von der Zuneigung anderer, seine Angst, sie verloren zu haben und seine Unfähigkeit, um sie zu kämpfen, beschreibt" (Rudolf, 1996, S. 160).
Sucht beschränkt sich nicht nur auf das Erzeugen von Glücksgefühlen, sondern erweckt auch in unterschiedlichem Ausmaß aggressiv-destruktive Kräfte und masochistische Tendenzen zum Leben. Es kann bis zu Selbstmord führen und verfestigt sich längerfristig über die körperlichen und sozialen Folgen der Sucht, die selbstzerstörerisch sind.
Der Hintergrund dieser selbstzerstörerischen Tendenzen sind wiederum die frühen enttäuschenden Erfahrungen, die es dem Kind nicht ermöglicht haben, eine klare Trennung zwischen sich selbst und der frühen Bezugsperson zu sehen. Das unvollkommen ausgebildete Selbst kann dann später seine Wut und Enttäuschung nicht an andere herantragen und trifft immer das eigene Selbst.
Doch wie ist der ständige Wunsch nach Wiederholung des Rausches und die zunehmende Unfähigkeit, das Suchtverhalten trotz der offensichtlichen massiven Schädigungen aufzugeben, zu erklären?
Es gibt verschiedene Erklärungsansätze:
Der Zustand des Süchtigen pendelt zwischen zwei Polen: dem angenehmen Rauschzustand und der verkaterten Nüchternheit. Eine Realität, die als unangenehm empfunden wird, veranlaßt zum Genuß der Suchtmittel. In der Phase der Ernüchterung wird diese Realität noch unerträglicher, und das Gefühl der Scham kommt hinzu und kann durch aufkommende Erinnerungen verstärkt werden (z.B. schon wieder aus der sozialen Rolle gefallen zu sein, schon wieder alles Geld verpraßt zu haben, usw.).
Es entsteht ein System, das sich selbst verstärkt (Teufelskreis).
Darüber hinaus wirkt sich die zerstörerische Dynamik der Sucht insbesondere bei harten und teuren Drogen auch zunehmend auf die soziale Realität aus. Der Weg führt schnell in die Beschaffungskriminalität (bereits eine starke Eßsucht übersteigt schnell den Etat und führt dazu, Nahrung durch Diebstähle beschaffen zu müssen).
Die ohnehin vorhandenen Selbstwertkrisen und Ängste werden so weiter verstärkt. Eine vorübergehende Bewältigung dieser Krisen ist die Flucht in den Rausch. Das System erhält sich selbst aufrecht und kann aus eigener Kraft kaum mehr verändert werden.
Diese Annahme geht von der Existenz eines sogenannten Suchtgedächtnisses aus, das die Erfahrung des Konsums des Suchtmittels mit Glückserleben koppelt. Diese Kopplung hält Jahrzehnte an und kann durch den entsprechenden Reiz ausgelöst werden. Im Laufe der Zeit ist das Suchtverhalten so konditioniert (gekoppelt), daß es auch ohne konkrete soziale Belastungssituation ausgelöst werden kann.
Die biologischen Theorien beziehen sich auf das sogenannte Belohnungssystem (eine entstehungsgeschichtlich alte Struktur des Gehirns) als Erklärung von Suchtverhalten: wird diese Gehirnregion aktiviert, entstehen Wohlbefinden und Glücksgefühle. Die diesbezügliche Forschung vermutet eine von den Erbanlagen her bedingte Minderfunktion dieser Region. Allerdings existieren noch keine gesicherten Ergebnisse zu dieser Vermutung, an die sich therapeutische Maßnahmen knüpfen könnten.
Ebenso gehört zum Wesen der Sucht, daß sich die Stoffwechselvorgänge auf das Suchtmittel einstellen und Entzugserscheinungen auftreten, wenn das Suchtmittel nicht mehr konsumiert wird. Das zwingt den Süchtigen wiederum dazu, das Suchtmittel zu konsumieren, um den körperlichen Qualen zu entgehen.
Ein psychotherapeutischer Zugang ist während des Konsums der Suchtmittel nicht möglich.
Während der Abstinenz treten dann die persönlichkeitsstrukturellen Merkmale des Suchtpatienten (z.B. seine hohe Kränkbarkeit und die Bedürftigkeit nach menschlicher Nähe und Zuneigung) besonders stark hervor.
In frühen psychoanalytischen Ansätzen zur Suchterklärung stand der Aspekt der lustvollen, befriedigenden Seite der Sucht als Erklärung für die Unfähigkeit, die Sucht aufzugeben, im Vordergrund. Heute wird dem Aspekt des Selbstschutzes, den das Suchtmittel bietet, größere Bedeutung beigemessen. Der Mensch kann nur durch Konsum des Suchtmittels seine anstürmenden Ängste, Erregungszustände und Gefühle der Selbstauflösung unter Kontrolle halten. Dieser Ansatz erklärt auch die Zunahme gegen sich selbst gerichteter Aggressionen in der Phase der Abstinenz.
Es ist sehr schwierig, eine verlässliche therapeutische Beziehung zu einem Suchtpatienten herzustellen. Oft versuchen sie, eine besonders harmonische Beziehung zu dem Therapeuten zu etablieren und klammern alles Negative aus. Das führt oft dazu, dass sie ein Doppelleben führen und das Suchtverhalten leugnen, obwohl sie das Suchtmittel weiterhin konsumieren. Aus diesen Gründen benötigt die psychotherapeutische Suchtbehandlung ein Mindestmaß an äußerer Strukturierung mit der Hoffnung, dass der Betroffene sich diese Kontrollinstanz nach und nach zu eigen macht.
Die psychotherapeutische Suchtbehandlung hat sich zu einem eigenen Zweig entwickelt und wird in gesonderten Suchtkliniken, Entziehungseinrichtungen, Drogenkliniken und entsprechenden Nachsorgediensten ausgeübt.
Dipl.-Psych. Volker Drewes
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